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Mord. Ist das Unverzeihlichste verzeihbar?

  • Elisabeth
  • 15. März 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Ein Mordfall. Ein zwölfjähriges Mädchen erstochen von gleichaltrigen Freudinnen. Was sich anhört wie aus einem Psychothriller ist in Freudenberg in diesen Tagen bittere Realität.


Freudenberg. Ich habe eine ehemalige Kollegin, die von dort kommt. Sie heißt Laura. Sie ist mir noch immer eine Freundin. Ich denke an sie. Mein Handy ist gezückt. Ich will meine Betroffenheit aussprechen. Sie ist meine Anlaufstelle.


"Kanntest du das Mädchen?", frage ich sie in einer ausführlichen Sprachnachricht.

"Ihr Vater gehört zu meiner Kirchengemeinde. Die Mutter und die Kinder gehören zu einer anderen Konfession", ist ihre Antwort.


Sie kannte Luisa nicht. Jedoch ihren Vater. Für mich ein Gänsehautwissen: Eine Zwölfjährige. Erstochen. Ein Bild, das ganz Deutschland nun im Kopf hat. Ganz Deutschland trauert mit den Eltern. Und meine Freundin Laura auch. Jedoch aber... weil es sie unbedingt angeht.


Für Laura ist der Fundort der Leiche nicht einfach irgendeine Stelle. "Auf diesem Weg bin ich schon oft spazieren gewesen", erzählt sie mir. Freudenberg, es scheint so weit weg von mir. Ich lebe in Paderborn. Rund 150 Kilometer entfernt. Trotzdem ist es durch Laura so nah. Es handelt sich um ein Mädchen, dass ich durch Laura nur um zwei Ecken "kannte".

Sozusagen. Und wieder wird mir ein Stückchen klarer wie klein die Welt ist. Oft finde ich den Gedenken schön. Heute denke ich jedoch: "Schei*e."


Mittlerweile habe ich in fast ganz Deutschland Bekannte und Freunde. Erst letzte Woche habe ich einer Freundin aus Bramsche eine Nachricht geschickt: "Was ist denn bei euch los?" Gerade hatte ich gelesen, dass eine 19-Jährige aus Bramsche vergewaltigt und ermordet wurde. Und neulich erst war es auch ein 16-Jähriger, der erschossen wurde. Auch in Bramsche. Meine Freundin von dort kannte die Opfer nicht. Aber sie kennt Menschen, die die Opfer unmittelbar kannten. Auch sie ist entsetzt. Das geschah - in ihrer Heimat!


Verrückt. Das ist in diesen Tagen meine Realität. Wie kann das sein?


Ich habe keine Antworten. Nur die Tatsache, dass mich jede dieser Art Nachrichten trifft wie ein Schlag.


Das Brutale der aktuellen Nachrichten: Es geht um die Jugend. Unschuldige Kinder und Jugendliche. Und sogar gleich drei Mal in nur drei Wochen. Und mittelbar sind meine Freundinnen betroffen in Bramsche und in Freudenberg. Das macht auch mich zu einer mittelbar Betroffenen - nur im weitesten Sinne, aber immerhin.


Was soll ich als mittelbar Betroffene denken und fühlen? Mitgefühl für die Opfer. Mitgefühl für die Familien und allen anderen unmittelbar Betroffenen der Ermordeten. Traurigkeit, dass das Leben von jungen Menschen beendet wurde. Das liegt klar auf der Hand. Das denke und fühle ich.


Und was ist mit den Tätern? Was soll ich über sie denken und fühlen? Sind sie nicht schließlich die "Monster", die das getan haben? Hass, Wut und Verachtung? In den sozialen Medien lese ich in den Kommentaren wie über sie gehetzt wird.


Und ich? Nein. Ich fühle und denke etwas Anderes. Es ist Mitgefühl. Mitleid. Ich weiß nicht, was einen Menschen dazu veranlasst zu einem Mörder oder zu einer Mörderin zu werden. Trotzdem sind sie keine Monster. Sie sind in erster Linie immer noch Mensch. Es fällt uns schwer das zu begreifen, aber das ist die Tatsache.


Jede Entscheidung und jedes Ereignis geht einer anderen voraus. Für jeden Mörder und jede Mörderin gab es auch Leben vor ihrer Tat. Ein Leben, in dem sie einfach nur Menschen waren. Vielleicht waren sie in diesem Leben selbst Opfer. Opfer von vielen kleinen Taten. Opfer ihrer eigenen Gefühle durch Täter: Wut, Hass und Verachtung. Und irgendwann kamen diese Gefühle zu einer Explosion: Sie wurden selbst Täter. Es muss etwas in der Vorgeschichte gegeben haben, dass sie dazu veranlasst hat. Ich denke: Es ist das eigene Leiden in ihrer Tat.


Ich habe Mitleid mit ihnen. Durch einen Mord ist nicht nur ein Leben beendet. Damit verändert sich nicht nur grundlegend die Leben der Angehörigen des Opfers. Es ist auch das Leben des Mörders oder der Mörderin beendet. Von heute auf morgen muss er oder sie ein anderes beginnen. Nicht ein "neues Leben". Das würde es als positiv assoziieren. Er oder sie muss von nun an damit leben von jedem gepeinigt zu werden. Alle haben haben Angst. Selbst ihre eigenen Angehörigen. Auch sie selbst müssen mit ihrer Schuld leben.


Ist das was sie getan haben unverzeihbar? Sollte darauf sogar eine Todesstrafe stehen? In vielen Ländern ist das selbstverständlich. Die Gesellschaft macht sich dadurch jedoch selbst zu Mördern. Das macht sie selbst nicht besser, als diejenigen, die sie zum Tode verurteilen. Damit müssen sie sich selbst verurteilen. Damit kommt das Verurteilen nie zum Ende.


Mord ist das am schwersten verzeihlichste Verbrechen. Trotzdem ist es verzeihbar. Selbst auch das muss verzeihbar sein. Das ist schmerzhaft, aber erlösend. Es ist das einzige, das erlösend ist. Eine Todes- oder Haftstrafe ist nicht erlösend.


Jede Tat, die wir tun, auch im Kleinen, muss einen Frieden finden.

In diesen Tagen bin ich in besonderer Weise verbunden mit den Opfern und Tätern und allen unmittelbar Betroffenen. Ich bete für das Verzeihen.


Als im weitesten Sinne mittelbar Betroffene fange ich an: Ich verzeihe euch. Bedingungslos.











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